Es war finster – man konnte nicht die Hand vor Augen sehen. Sein Atem ging schwer, als ob ein ganzer Berg auf seinem Herzen lastete. Sein Zeitgefühl war längst nicht mehr existent. Wie lange war er schon hier unten, wie lange musste er schon er schon diese unsäglichen Qualen erleiden? Wie lange wollte, aber konnte er es nicht beenden. Es schien ihm wie eine Ewigkeit
Er war ein stattlicher junger Mann. Doch trotz seiner Jugend konnte er sich nicht daran entsinnen wie er hierher gekommen war, geschweige denn ob er je ein Leben außerhalb dieses finsteren Ortes geführt hatte. Orientierungslos und geängstigt stand er da, mitten im Nichts – in einem Loch das so tief war, dass man weder seinen Rand, noch Tageslicht erahnen konnte…

Manchmal konnte er laute Schmerzschreie hören – er war nicht allein hier unten, doch jede Frage die er in den Raum stellte blieb unbeantwortet. Diese Geräusche waren so nah, dass er sie hätte berühren können müssen, doch all sein Tasten blieb ergebnislos.

Er war gerade einmal wieder kurz davor über seine Hilflosigkeit dem Wahnsinn zu verfallen, als sich von Oben her ein gleißendes Licht näherte. Seine mittlerweile verkümmerten Augen waren geblendet. Das Licht kam direkt auf ihn zu und blieb kurz vor seinem Gesicht stehen.

„Hallo schwarze Seele…“ , erklang es.

„Ich bin deine Fee der Finsternis. Ich weiß genau was du hier erleiden musst und bin gekommen dich zu befreien!“

„N-nun gut Fee…“ , stammelte er, der in der unendlichen Einsamkeit fast das Sprechen verlernt hätte.

„…was willst du dafür von mir haben?“

„Nun denn!“ , sagte die Fee, „Ich verlange nichts unmögliches von dir! Wenn ich dich aus diesem finsteren Gefängnis befreie, sollst du mir zu ewiger Treue verpflichtet sein – und die musst du mir hier und jetzt versprechen! Ich bin auch oft einsam und brauche jemanden der für mich da ist, wenn ich ihn brauche!“

In seiner Not und mit der Aussicht auf ein Leben jenseits der Finsternis, hätte er ihr alles versprochen, also tat er was sie von ihm dafür verlangte. Daraufhin nahm ihn die Fee bei der Hand, hob ihn in die Lüfte und schwebte mit ihm an die Oberfläche.

Dort angekommen setzte sie ihn am Rand des Loches ab und sagte zu ihm: „Wenn du deinen Treueschwur jemals brichst, werde ich dich eigenhändig in das Loch zurückstoßen aus dem du gekommen bist! Dann kann dich niemand mehr daraus befreien, selbst ich nicht!“

Unbändig der Freude das Tageslicht und die Welt unter ihm zu erblicken, nahm er diese Warnung mit einem halben Ohr zur Kenntnis. Zu faszinierend waren die Formen und Farben, die sich ihm darboten, als dass er sich jetzt hätte darauf konzentrieren können.

„So…“ , sagte die Fee gutmütig, „Mache dir dieses Fleckchen zu Eigen – ich muss fort und bin in drei Wochen wieder zurück!“

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand über den Horizont. Der junge Kerl fing unterdessen an sich eine Hütte in der Nähe des Loches zu bauen, damit er nicht unter freiem Himmel schlafen musste. Nach drei Tagen war die Arbeit getan und er setzte sich in einem Schaukelstuhl vor seine Behausung. Und als er gerade so über das Glück sinnierte, welches ihm zuteil geworden war, drang ein jämmerliches Wehklagen an sein Ohr.

Er folgte den kläglichen Lauten und wurde von ihnen an den Rand des Loches geführt. All seinen Mut zusammennehmend blickte er über die Kante und sah…

Einen Engel… einen leibhaftigen Engel! Sie klammerte sich mit letzter Kraft am Rand des Loches fest. Ohne zu zögern reichte der kräftige junge Mann ihr die Hand und zog sie über die Kante. Da stand sie nun vor ihm, ein Engel wie man ihn sich vorstellt: ein Gesicht das jedem Engel Ehre macht, ein Körper wie aus Alabaster gemeißelt… Doch etwas war komisch an diesem Engel. Die wohl einst mächtigen Schwingen hingen in Fetzen, Schmutz haftete am ganzen Körper, das Gesicht war wie mit Ruß beschmiert, die Haare klebten verschwitzt im Gesicht, die Hände waren blutig vom Freiklettern, die Fingernägel abgebrochen, das Kleidchen mit Blut besudelt. Doch das allermerkwürdigste war: dieser Engel trug einen massiven Metallring um den Hals, an dessen Öse noch ein knapper Meter zerrissener Leine hing.

Höflich wie er war, bot er diesem armen Geschöpf ein Bad in seinem Zuber an. Er machte heißes Wasser und umsorgte sie ein wenig! Als sie nun gebadet und mit gewaschenem Kleidchen vor ihm stand, wusste er nicht wo er zuerst hingucken sollte und sein Mund wurde ganz trocken. Er machte etwas zu essen und die beiden führten dabei eine nette Konversation.

Doch das Engelchen klagte über böse Rückenschmerzen vom klettern. Er wiederum erzählte ihr von der Fee und seiner Beziehung zu dieser! Doch ihm drängte sich schon die ganze Zeit die Frage auf wie ein Engel eigentlich in so ein finsteres Loch gerate, aber die Höflichkeit gebot es ihm zu schweigen! Stattdessen bot er ihr an ihre Verspannungen mit einer Massage zu lockern, worauf sie mit Freuden einging.

Sie legte sich bäuchlings auf seine Liege und zog ihr Kleidchen über die Schultern, als dass er sie besser massieren könnte. Was er dann erblickte erfüllte ihn mit Grauen – dieser schöne Engel hatte ein hässliches Brandmal direkt zwischen den beiden Flügelansätzen. Sie merkte dass er stockte und fragte, ob es wegen des Males sei…

Dies bejahend fing er an zu massieren und sie fing an zu erzählen was ihr widerfahren war:

Sie war einst, als Gottes allmächtiges Reich noch bestand, lange vor dessen Tod, auf Erden als Schutzengel gewandelt. Eines Tages traf sie auf einen anderen Engel und sie war sofort von dessen Wesen eingenommen. Er geizte mit nichts…weder mit Reizen, noch mit Geld. Sie war davon so geblendet das sie nicht mehr klar sah. Völlig benebelt folgte sie ihrem Schwarm überall hin, auch an den Rand des tiefen schwarzen Loches. Dort angekommen ließ der Schönling die Hüllen fallen: er stieß die Flügel ab, riss sich die Maske vom Gesicht und lachte sie diabolisch an. Das war kein Engel! Das war ein Dämon – ein Gesandter des Teufels!

Er schlug den völlig verwirrten Engel nieder, zerfetzte ihre Flügel, auf dass sie nicht mehr fortfliegen konnte. Dann legte er ihr einen schmiedeeisernen Ring um den Hals, den er mit einer Leine mit einem Ring an seinem Handgelenk verband. Der Dämon hob den Engel auf und verschwand mit ihm in der ewigen Finsternis des Loches. Dort angekommen zog der Dämon ein Eisen aus dem Höllenfeuer und setzte dem Engel sein Brandmal, auf dass sie ewig sein sei! Nach einer Ewigkeit von 2000Jahren war es ihr gelungen die Leine die sie mit dem Dämon verband durchzureißen, dann schnitt sie dem Dämon im Schlaf die Flughäute heraus, damit er sie für immer in Frieden leben lasse! Dann begann sie den schweren Aufstieg zum Rand des Loches.

Angewidert von der Geschichte begann der junge Mann den Dämon zu hassen – er hasste ihn voller Inbrunst. Er wollte dem Engel all die Schmerzen und die Pein vergessen machen und verwöhnte sie nach Strich und Faden. Die Massage war dem Engel eine solche Wonne dass sie sich bald unter seinen Händen zu winden begann. Diese Bewegung unter seinen Händen erregte ihn, doch er musste an das Versprechen denken, welches er der Fee gegeben hatte.

Am nächsten Tag jedoch war der junge Kerl, der ja auch nur ein Mann war, von dem Wesen des Engels so verzaubert, dass er, als der Engel die Worte der Verführung sprach, keinen Gedanken mehr an die Fee verschwendete. Die beiden erlebten unbeschreibliche Freuden…

Und es blieb nicht bei der einen Nacht. Dann und wann hörte man den Dämon wie er aus dem Loch heraufschrie, dass er sich geändert habe und jetzt ein gutes Leben mit ihr führen wolle. Der Engel verlachte dies jedoch in Gegenwart des jungen Mannes. Doch irgendwann drängte sich im Gedächtnis des Liebhabers das Versprechen an die Fee wieder in den Vordergrund… ein schlechtes Gewissen war die fatale Folge. Als der Engel ihn dann aufforderte mit ihr fort zu gehen und ein neues Leben anzufangen, konnte er nicht umhin sich noch Zeit auszubitten.

Der Engel jedoch konnte das nicht verstehen, zweifelte an den Gefühlen des Mannes zu ihr und würde überdies mit jedem Tag zorniger. Wenn der Junge ihr den Rücken zuwandte ging sie zum Loch und unterhielt sich mit dem Dämon. Dieser sprach mit gespaltener Zunge zu ihr und hatte sie alsbald davon überzeugt dass er sich geändert habe!

Eines Tages rief sie den jungen Mann an den Rande des Loches. Dieser kam auch prompt und fragte was denn los sei. Sie sagte er solle mal über den Rand blicken. Das tat er und sah in einiger Tiefe die fiese Fratze des Dämons grinsen. Dann spürte er die Hände des Engels an seiner Hüfte die ihn in das finstere Loch stießen. Er schien ewig zu fallen… unmöglich zu sagen wie lange es dauerte bis er hart auf dem Boden aufschlug.

Unterdessen reichte an der Oberfläche der Engel ihre Hand dem Dämon um ihm aus dem Loch zu helfen. Dieser war aber nicht gekommen um aus dem Loch herauszukommen, er war gekommen um etwas von oben mit herunter zu holen. Er griff fest nach der Hand des Engels und riss sie mit in die Tiefe!

Als die Fee, wie versprochen, nach drei Wochen zurückkehrte und statt dem Jüngling nur Kampfspuren am Rand des Loches vorfand, stieg sie hinab um zu sehen ob er hier unten sei. Und tatsächlich – sie fand ihn hier unten, zusammengekauert auf dem kalten Boden sitzend.

Sie sagte zu ihm: „Ich weiß nicht wie du wieder hierher gekommen bist, aber ich will es auch nicht wissen! Ich kann dir leider nicht noch einmal an die Oberfläche helfen. Ich kann nur versuchen dir die Zeit hier unten zu erleichtern!“

Sie schwang ihren Zauberstab, schenkte ihm die Augen eines Maulwurfes und verschwand für immer. Jetzt konnte er sehen, wo er hier war… es war der Vorhof zur Hölle. Millionen gequälter Seelen erlitten um ihn herum in der Anonymität der Dunkelheit ihre Schmerzen.

Und dann sah er sie: seinen Engel und ihren Dämon, der sie an einer schmiedeeisernen Kette umherführte. Sie tat ihm unendlich Leid, doch die Schmerzen die er wegen ihr hier Unten erleiden musste, erlaubten ihm nicht ihr zu verzeihen. Er muss nun eine halbe Ewigkeit mit ansehen wie sie von ihm gequält wird – was seine Qualen noch vergrößert! So sehr das er sich wünscht endlich von der Hölle verschlungen zu werden. Nur der Dämon ist glücklich und zufrieden!