Wir leben in einer schnelllebigen Welt – was gerade noch in und neu ist, ist im nächsten Moment wieder out und veraltet. Wir hetzen durch unser Leben und die Welt als gäbe es nichts anderes mehr auf der Welt. Momente zählen nichts mehr – sie rasen schneller an uns vorbei als wir sie wahrnehmen. Vielleicht ist diese Entmomentalisierung unserer Zeit ein Grund dafür, dass die Menschen heute mehr Fotos machen als je zuvor!? Der Menscht sehnt sich nach Momenten. Doch wäre es nicht zielführender, wenn man zunächst anfangen würde Momente wieder zu leben / sie wahrzunehmen und sie DANN aufzuzeichnen und die Erinnerung an diesen Moment zu konservieren? Was kann uns helfen den Moment bewusster wahrzunehmen?
Man muss sich mit dem Moment auseinandersetzen, mit dem Motiv auseinandersetzen – es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, auch schauen wie sich das Umfeld mit dem Blickwinkel ändert – Motiv und Umfeld in eine Beziehung bringen. Dieses „In Beziehung bringen“ ist das was allgemein als Perspektive bezeichnet wird. Diese Perspektive hängt aber ausschließlich vom Aufnahmestandpunkt ab. Wenn man nun aber ein Zoom-Objektiv an der Kamera hat, neigt man dazu das Hauptmotiv isoliert zu betrachten (also die Umgebung zu vernachlässigen) und es über die Brennweite einfach vom (meist zufälligen) Standpunkt aus Format-füllend abzulichten. Das ist aber nicht immer die bestmögliche Herangehensweise (häufig ist diese sogar kontra-produktiv).
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Weitwinkel-Objektive den Raum (also die räumliche Staffelung) auseinander ziehen und Teleobjektive den Raum stauchen würden. DAS IST FALSCH! Es liegt nicht an der Brennweite, sondern daran, dass der Aufnahmestandpunkt geändert werden muss um das Motiv mit einer anderen Brennweite in derselben Größe aufzunehmen. Durch die Änderung des Aufnahmestandpunkts ändert sich die Beziehung zum Umfeld.
Hier ein paar Beispiele:
Die Perspektive hat also gar nichts mit der Brennweite zu tun, sondern viel mehr mit den Abstandsverhältnissen. Die Burg und der Baum sind ihrer Position (hoffentlich) unveränderlich, die einzige Variable in diesem Spiel ist der Standort der Kamera.
Um das nochmal besser zu verdeutlichen, habe ich hier die Szene nochmal von der Seite skizziert:
Hier stehe ich also recht nah vor dem Baum, er nimmt einen sehr großen Bereich des Bildwinkels ein (Bereich zwischen den grünen Linien), während die Burg selbst nur einen kleinen Teil einnimmt (bereich zwischen den Roten Linien) – vor allem in Relation zur Präsenz des Baumes (knapp 1/3 Burg/Baum). Schauen wir uns nun mal an, wie das aussieht wenn ich ein gutes Stück zurück gehe:
Unter der Annahme wir hätten noch immer die gleiche Brennweite (die ja an der Perspektive nichts ändert), sehen wir hier, dass der Baum nur noch knapp den halben Bildwinkel füllt, die Burg hingegen knapp ein viertel. Die Burg ist jetzt also auf dem Bild nur noch halb so groß wie der Baum (1/2 – Burg/Baum), hat also an Größe zugelegt.
Damit sollte also ein für alle Mal klar sein, dass die Brennweite lediglich den Bildausschnitt festlegt und die Perspektive sich allein durch eine Standort-Änderung der Kamera ändern lässt!
Was hat das nun mit Zoom-Objektiven zu tun? Solche Objektive haben eine variable Brennweite – man kann also den Bildwinkel ändern. Das verführt allzu oft dazu das Motiv vom Hintergrund isoliert zu betrachten, reinzuzoomen bis das Motiv den Rahmen füllt, abzudrücken und dann zum nächsten Motiv zu hetzen. Dabei wird dann auch die Bildwirkung der (zufällig) gewählten Brennweite komplett vernachlässigt und es stellt sich auch kein Lerneffekt über das Bildgestaltungs-Element „Brennweite“ ein.
Das deckt sich auch komplett mit meiner eigenen Erfahrung: Ich fing an mit Zoom-Objektiven, kam aber damit gestalterisch nicht so richtig zu Potte. Da half die Anschaffung von ein paar Festbrennweiten, denn wenn ich nicht zoomen kann und den Bildausschnitt an das Motiv (über meinen Aufnahmestandpunkt) anpasse, dann muss ich das Bild eben entsprechend der Möglichkeiten des Objektivs (Bildwinkels) komponieren. Das macht die Sache interessanter aber gleichzeitig auch erst mal schwieriger. Insofern kann eine Festbrennweite helfen sich fotografisch besser mit dem Motiv, dem Umfeld und der Perspektive auseinander zu setzen – man fotografiert so eher als dass man knipst.
Ich kann aber jedem empfehlen seine Zoom-Objektive trotzdem nicht zu verkaufen und ausschließlich auf Festbrennweiten umzustellen, denn ich persönlich kann, nachdem ich durch den Einsatz der Festbrennweiten die gestalterischen Effekte der jeweiligen Brennweite kennengelernt habe, jetzt auch mit einem Lichtstarken Zoom-Objektiv sehr gut umgehen und wähle auch dort die Brennweite mit Bedacht und nach gestalterischen Bedürfnissen. Nur ohne eine Lernphase mit Festbrennweiten wäre ich sicher nicht so schnell dahin gekommen…
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