Candidate?

Für die Schottlandreise brauchte ich ein wirklich kompaktes Reisestativ, dass gut zu meinem kleinen Rucksack passt.

Mein Manfrotto 055XPROB plus Sirui-Kugelkopf mit 74cm Transportlänge und 2,75kg Gewicht  disqualifiziert sich da auf jeden Fall (das Teil is genau das Richtige für meine Mittelformat-Mamiya RB67 oder eine KB-D-SLR – aber für meine kleine Olympus ist das der Overkill!). Mein Bilora 1221-SE ist zwar etwas kleiner und leichter (51cm und 1,43kg), doch immer noch keine Optimalbesetzung. Ich habe also diverse Tests, Artikel und Blogbeiträge gelesen auf der Suche nach der besten Lösung für meine Bedürfnisse.

Hier das Lastenheft:
Höhe ausgezogen: >150cm
Packmaß: < 40cm (die Länge meines Rucksacks)
Gewicht: < 2kg
Preis: < 150€
Besondere Funktionen: Einbein-Funktion, Haken für Zusatzlast an Mittelsäule

Also machte ich mich auf die Suche….

Candidate!

Ich stieß dann recht schnell auf eine „Marke“ die ihren Modellen gerne menschliche Vornamen verpasst und die Ausrüstung dann recht aufwändig vermarktet. Die Preise bewegen sich dabei im Mittelfeld. Dort fand ich ein Stativ mit 36cm Packmaß, einem Gewicht von 1,57kg und einer Maximalhöhe von 158cm. Das Ding hat auch eine Einbeinfunktion und nen Lasthaken… kosten sollte der Spaß bei Amazon dann 129€.

Eigentlich hätte meine Reise damit beendet sein können – das Lastenheft war erfüllt. Doch wie der Zufall es wollte, stolperte ich bei eBay über ein Stativ, dass dem des bekannten Anbieters oben frappierend ähnlich sah. Ich habe dann noch etwas recherchiert und dieses Stativ wird von diversen Handelsmarken unter der Bezeichnung Q666 vertrieben (es gibt auch noch eine Version in Carbon [Q666C], die für mich aber keine Vorteile bietet). Dabei geht die Preisspanne von herunter bis auf 55€ (für die ich es erstanden habe). Nun kann man dem oben erwähnten Importeur natürlich zu einer Marge von weit über 60% gratulieren, muss allerdings dazu sagen, dass das Modell dieser „Marke“ andere Verriegelungen an den Auszügen hat und der Anbieter als Deutscher Anbieter natürlich dem europäischen Produkthaftungsgesetz unterliegt (was bei Direktbestellungen in China anders aussieht) und vielleicht jedes zweite importierte Stativ weggeschmissen wird, weil es Mängel aufweist. Ich jedenfalls bin ins Risiko gegangen und habe die günstigste Quelle gewählt.

Was kann man nun also von so einen Cheap-Ass-Tripod schon groß erwarten? Also der Lieferumfang ist schon einmal bemerkenswert: Stativ, Kugelkopf, Beutel für Kugelkopf, gepolsterter Köcher für das gesamte Stativ in Tarn-Optik, ein Halfter mit dem man das Objektiv am Gürtel tragen kann, ein Inbus-Schlüssel und eine geprägte, aber nutzlose VIP-Karte mit chinesischen Schriftzeichen.

Lieferumfang

Beim Auspacken kommt das Ganze auch recht wertig rüber. Die Beine werden einmal auf die andere Seite geklappt und dann durch Einschieben von kleinen Rast-Laschen arretiert – hierfür gibt es zwei Rast-Stufen. Eine in der  die Beine steil stehen und die Stativhöhe eher hoch (dafür aber kippeliger) ist und einen flacheren Winkel, der weniger Höhe aber mehr Stabilität liefert (sofern man nicht alle Auszüge der Beine nutzt).

Apropos Auszüge: Die Verriegelung derselben, geschieht über Dreh-Verschlüsse. Diese sind etwas gewöhnungsbedürftig, da sie zwei Spannpunkte aufweisen. Was meine ich damit? Wenn man sie löst, machen sie zunächst einen losen Eindruck, lassen sich aber nicht ausziehen – dreht man noch ein Stück weiter, nimmt der Widerstand wieder zu – erst wenn der zweite Höhepunkt überwunden ist, kann man das Bein ausziehen (oder einschieben). Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist das kein Problem – doch in der ersten Zeit entlockt einem das den ein oder anderen Fluch – daher bietet wahrscheinlich besagter Importeur das Stativ auch mit anderen Verriegelungen (mit Hebel) an.

Kugelkopf-Vergleich

Der mitgelieferte Kugelkopf kann zwar haptisch nicht mit meinem Sirui K-20X mithalten, das ist allerdings auch verständlich, denn der Sirui-Kugelkopf kostet fast dasselbe wie 3 dieser Stative (mit Kugelkopf). Abgesehen davon macht der mitgelieferte Kopf allerdings einen ordentlichen Job. Ich habe hier allerdings nur eine verhältnismäßig kleine und leichte Kamera im Einsatz – für genau diesen Einsatz habe ich das Stativ gekauft. Micro Four Thirds ist das Stichwort. Die olle EOS 5D oder gar meine mittelformatige Mamiya RB67 würde ich nicht guten Gewissens, oder gar in der Erwartung verwackelungsfreier Fotos, auf dieses Stativ flanschen.
Einziger Kritikpunkt am Kugelkopf ist die mitgelieferte Montageplatte. Diese ist offensichtlich nicht ausreichend plan, sodass sie dazu neigt sich selbst bei stark angezogener Schraube zu verdrehen. Da habe ich also recht schnell auf meine Sirui-Platte zurückgegriffen.

Lasthaken im Einsatz

Auf unserer Schottlandreise und mit der OM-D E-M5 II (und dieser Ausrüstung) hatte ich mit diesem Stativ überhaupt keine Probleme. Die Kamera stand stehts sicher und fest auf dem Stativ. Wenn es sehr windig war (an der Küste), dann habe ich den Rucksack an den Lasthaken gehängt.

Ein Killerfeature ist, dass man einfach eines der drei Beine abschrauben kann und die Mittelsäule drauf schrauben – schon hat man ein schönes Einbeinstativ. Das macht sich dann besonders gut mit dem langen Tele – probiert habe ich das im Edinburgh-Zoo.

Fazit: In diesem Fall kriegt man deutlich mehr als man bezahlt. Ein sehr brauchbares Stativ mit Kugelkopf und Einbein-Funktion. Den Köcher und das andere Zubehör hätt ich nicht gebraucht, aber es ist unwahrscheinlich, dass der Preis ohne dieses Zubehör noch signifikant niedriger sein würde.

Einbein-Funktion

Für kleine/leichte Kameras ohne Schwingspiegel erhält dieses Stativ meine volle Empfehlung – für eine große, schwere D-SLR mit großem Objektiv, sollte man allerdings tiefer in die Tasche greifen und etwas stabileres nutzen.

Die Verarbeitung geht völlig in Ordnung – auch wenn der Lack nach kurzer Zeit von den Rastungen der Beine abplatzte. Schwund ist ja irgendwie immer…