Heutzutage wird der Autofokus (AF) einer Kamera zum Kernfeature hochstilisiert – die Funktion des AF entscheidet über Wohl und Wehe und letztlich den Erfolg der Kamera (Beispiel Canon EOS M). Ich möchte das an dieser Stelle einmal zur Diskussion stellen (so wie zuvor den Trend der Megapixel-Gigantomanie) und die Notwendigkeit eines schnellen Autofokus relativieren. Die Geschwindigkeit ist nicht immer wichtig – die Präzision hingegen schon. Jetzt mal ehrlich! Nehmt mal eine alte Kamera wie die Canon AE1 – da gab es gar keinen Autofokus – konnte man damit keine guten Fotos machen? Was das angeht finde ich die Hysterie bezüglich eines schnellen oder langsamen Autofokus vollkommen unangebracht – viel ärgerlicher fänd ich einen Autofokus der zwar schnell ist, aber häufig daneben liegt.

Schärfe und Unschärfe

Wann ist ein Foto eigentlich scharf? Zunächst einmal muss nicht das ganze Foto scharf sein (es ist sogar so, dass viele der besten Fotos mehr unscharfe als wirklich scharfe Fläche aufweisen) – es reicht aus, wenn die Sehenswürdigkeit scharf abgebildet wird (bei Portraits immer die Augen).

Objektiv betrachtet trennt man also scharfe von unscharfen Bereichen. Ein Foto ist die Abbildung eines 3-dimensionalen Raumes auf einem zweidimensionalen Medium. Die unscharfen Flächenbereiche sind also eigentlich Bereiche des Raums die nicht im Fokus lagen. Scharfe Flächenbereich liegen also im räumlichen Fokus-Bereich (die Tiefe dieses Bereichs wird auch „Schärfentiefe“ genannt). Die Schärfentiefe hängt von zwei Faktoren ab:

  • Der Brennweite (je länger die Brennweite, desto schmaler die Schärfentiefe)
  • Der Blende (je offener die Blende, desto schmaler die Schärfentiefe)
  • Dem Aufnahmeabstand (Je näher das Motiv, desto schmaler die Schärfentiefe)

Mit dem Fokusring am Objektiv macht also nichts anderes als diesen Bereich der Schärfentiefe parallel zum Sensor/Film vor und zurück zu schieben. Man sollte so also den scharfen Bereich da hin schieben, wo die Sehenswürdigkeit im Bild liegt. Das ist natürlich einfacher, wenn die Schärfentiefe größer ist – ist die Schärfentiefe gering, so muss man umso präziser fokussieren, damit bei dem Portrait zum Schluss nicht statt der Augen die Ohren scharf abgebildet werden.

Der Autofokus nimmt dem Fotografen diesen Prozess ab – oder versucht dies zumindest – bei modernen Systemen auch meistens mit Erfolg, doch häufig brauchen die Systeme recht lange oder haben Probleme mit der Präzision. Dann sehen die Bilder vielleicht auf dem Bildschirm der Kamera scharf aus – aber wenn man dann zu Hause die Bilder sichtet ist der Ärger groß. Manchmal ist man einfach besser dran, wenn man manuell fokussiert – auch heute noch!

In der fotografischen Praxis ist der AF also manchmal ein nettes Hilfsmittel – doch so richtig unabdinglich ist er nur in einigen Teilbereichen der Fotografie.
Hier ein paar Themenbereiche in denen man meiner Erfahrung nach keinen AF braucht, oder ihn nicht richtig nutzen kann, weil die Technologie versagt:

  • Makrofotografie (Aufgrund der schmalen Schärfentiefe hat der AF-Sensor hier oft Probleme und pendelt ziellos hin und her – wenn man ohne Stativ arbeitet klappt’s ohnehin nicht mehr.)
  • Nachtaufnahmen / Low-Light (Es gibt einfach nicht mehr genug Licht für die AF-Sensoren und auch hier jagt der AF hin und her ohne scharfstellen zu können)
  • Landschaftsfotografie (Hier funktioniert er zwar, aber zwingend brauchen tut man ihn nicht, da man hier im Allgemeinen genug Zeit hat zu komponieren und außerdem auch stark abblendet, was die Schärfentiefe sehr groß werden lässt)
  • Architekturfotografie (Statische Motive und meist genug Zeit manuell zu fokussieren)
  • Stillleben / Produktfotografie (Statische Motive und meist genug Zeit manuell zu fokussieren)

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der AF erst so richtig notwendig / hilfreich ist, wenn es um Sport, umherspringende Kinder, Wildlife und Portraits (zumindest wenn hier mit Offenblende und damit kleiner Schärfentiefe gearbeitet wird – hier muss der AF dann aber auch eher präzise als schnell sein).

Daher stehe ich auf dem Standpunkt, dass autofokus-mäßig nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Es muss nicht immer ein monsterschneller AF sein – Ansonsten müsste jeder eine Eos 1Dx kaufen!