…Lüneburger Heide. Wie kommt es denn dazu? Wäre es nicht irgendwie aufregender die Galaxis per Anhalter zu erkunden?

Tja – ich muss dazu sagen, dass ich noch nie zuvor in meinem Leben per Anhalter gereist bin und es auch nie versucht habe! Bisher hatte ich immer genug Stolz (oder Zeit) darauf zu verzichten, auf den Bus zu warten, oder mir jemanden telefonisch zu bestellen der mich abholte.
Da liegt es nun auf der Hand, dass schon etwas mehr vorgefallen sein muss um mich dazu zu überwinden den Daumen raus zu halten.

Das alles fing eigentlich ganz harmlos an: Ich bestieg um 07:06 Uhr in Hildesheim den Zug nach Hannover, wo ich sogar den Anschlusszug nach Soltau erreichte. Das Drama nahm seinen Anlauf als ich in Soltau am Bussteig stand und auf den Fahrplan blickte.
Da stand doch tatsächlich, dass der nächste Bus in Richtung Bispingen erst in über zwei Stunden fahren sollte (in den Ferien fahren den ganzen Tag über stolze 6 Busse).

Na herzlichen Glückwunsch! Da baut die BRD seit 18Jahren die Infrastruktur in den alten Bundesländern auf – und mitten in Niedersachsen strandet man wie ein temporärer Schiffbrüchiger.
Da meine Zeit jedoch limitiert ist und Geduld durch den Stress meiner Diplomarbeit Mangelware, entschloss ich mich per Pedes zur Ortsausfahrt Richtung Bispingen durchzuschlagen und dort eine Welt-Premiere zu starten: Meine Person das erste mal am Straßenrand mit erhobenem Daumen!

Nachdem ich meinen 10Kg schweren Koffer die 4 Kilometer bis zum Ortsausgang geschleppt hatte war es dann soweit. Den Arm leicht nach unten gestreckt und den Daumen gen Himmel gerichtet stand ich da – meine Füße im Bodenfrost. Irgendwie kam ich mir dabei schmutzig vor, wie eine Hure am Straßenrand. Doch dieses Gefühl verflüchtigte sich bald, war ich doch genug damit beschäftigt meinen Körper durch rhythmisches Zittern warm zu halten.

Jeder Fahrer der an mir vorbeizog schleuderte mir seine Verachtung entgegen. In ihren Augen konnte ich jene Regung erkennen, die ich Anhaltern immer entgegenbrachte, als ich noch einen fahrbaren Untersatz hatte. Mir zuckte ein Gedanke durch das Hirn:„WILLKOMMEN AM ANDEREN ENDE DER NAHRUNGSKETTE!“ Ja danke, das ist dann wohl Karma. Eine Stunde im Frost, geschätzte 200 vorbeigefahrene Autos und einen halb abgefrorenen Zeh später brachte die mir entgegengebrachte Ablehnung das Fass zum überlaufen und meine Moral zum Zusammenbruch. Ich entschloss mich 400m zurück in Richtung Ortskern zu gehen um in einer kleinen Gaststätte einen Kaffee zu trinken und auf den Bus zu warten. Für heute genug der Demütigung.

Nun sitze ich hier und reflektiere über meine Existenz – der Kaffee ist übrigens lecker, werde glaube ich noch einen bestellen.

Bin ich denn so „Hitchhiking-untauglich“?

Ich bilde mir ein eine einigermaßen seriöse Erscheinung zu besitzen, zumal ich heute entgegen der Regel, sogar ein blau-graues, statt eines schwarzen Hemdes anhabe.

Ich hab mir sogar Mühe gegeben die Mundwinkel hochzuziehen, auch wenn mit jedem vorbeibrausenden Fahrzeug die Schwerkraft immer stärker zu werden schien.

Mein Daumen sieht auch nicht viel anders aus als der anderer Menschen (siehe Bild oben).

Allerdings habe ich auch so meine Vermutungen, warum es nicht geklappt haben könnte:

ich bin zu groß, zu kräftig gebaut, zu behaart, zu bekleidet, meine Harre sind zu kurz und zu braun/grau und meine Brüste sind natürlich auch zu klein (Kurzform = ich bin zu männlich).

Vergewaltiger und Massenmörder besitzen die Frechheit ebenso nett und harmlos auszusehen wie ich.

Ich sehe mit meinen schwarzen Klamotten nicht harmlos genug aus.

Die christliche Kirche hat einen Satanisten-Radar entwickelt und an alle Automobile der westlichen Welt nachgerüstet.

Der faradaysche Käfig, den die Karosserie eines Automobils bildet schirmt auch die Spiegelneuronen ab. (Zur Erklärung: Spiegelneuronen sind dafür zuständig, dass wir anderen Menschen gegenüber Mitgefühl entwickeln. Sehen wir einen Menschen leiden, feuern die Spiegelneuronen und sorgen dafür, dass wir den gleichen Schmerz erleiden, wenn auch nur mental und in abgeschwächter Form).

Zu allem Überfluss kam auch noch gerade mein alter Fahrlehrer in die Gaststätte und hat mich nicht wieder erkannt. Nun gut – in 10 Minuten sollte mein Bus fahren, also schließe ich hier.

NACHTRAG: Es ist schon bemerkenswert, dass ein Bus es auf der Strecke von 4 Kilometern zwischen Starthaltestelle und meiner Person eine viertel Stunde Verspätung anzuhäufen. Und zu allem Überfluss fragt der Fahrer auch noch, ob ich wirklich 2 Stunden dort gewartet hätte – er hätte mich gesehen, als er nach Soltau rein gefahren sei! *WOOOT*

Notiz an mich selbst: Studium schleunigst zu Ende bringen, danach viel Geld verdienen und ein Auto anschaffen. Der Mehrwert der spontanen Mobilität ist nicht zu beziffern. Und wenn ich es mir aussuchen kann, ob ich ein armes Tramper-Würstchen, oder das Arschloch das an ihm vorbeifährt sein möchte, dann bin ich doch gerne Arschloch!